Das KMU der Zukunft – wie sieht es aus?

 Wie sieht das KMU der Zukunft aus? Diese Frage stellt sich nach den vergangenen zwei Jahren umso drängender. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer sind sich sicher, dass die Zukunft in der Post-Corona-Zeit anders aussehen wird. Produktportfolio, Geschäftsmodelle und die Unternehmenskultur werden sich nachhaltig verändern. Die Corona Krise hat notgedrungen Erfindergeist, Kreativität und Mut geweckt, neue Technologien umzusetzen. Jetzt geht es darum, diese neuen Technologien zu etablieren und sie zu übertragen in Krisenfestigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Produktivitätssteigerung. Welche Aufgaben stehen den KMU bevor? Und wie sieht das KMU der Zukunft aus? Darüber sprachen wir mit Prof. Dr. Dirk Müller, Professor für Innovationsmanagement an der Hochschule Flensburg.

Dirk Müller

WTSH Online Redaktion: Herr Professor Müller, Sie beschäftigen sich mit der Innovationsfähigkeit von KMU. Wie sieht Ihrer Meinung nach das KMU der Zukunft im Hinblick auf seine Innovationsfähigkeit und -Tätigkeit aus? Wird das KMU der Zukunft wirklich „agiler“?

Prof. Dirk Müller: Wir sehen, dass Geschwindigkeit und Kosteneffizienz im globalen Innovationswettbewerb zunehmend bedeutend werden. Entwicklungszeiten und Produktlebenszyklen verkürzen sich durch neue Technologien und damit verbunden auch neue Organisationsstrategien- und prozesse. Die Zeiten, in denen Produkte ihre Entwicklungskosten amortisieren können, verkürzen sich ebenfalls erheblich. Hinzu kommt eine stärkere, internationale Konkurrenz. Unternehmen können in diesem Innovationswettbewerb - und dieses ist häufig die Basis für den Erfolg deutscher KMU – standhalten, wenn sie ihre Entwicklungsprozesse ebenfalls beschleunigen, möglicherweise parallelisieren. Die Ergebnisse der Entwicklungsprozesse sollten sich noch besser, reaktiver und sich noch stärker an dem wahrgenommenen Nutzen ausrichten. Ein wichtiger Weg, um dies zu erreichen, ist die Anwendung von Prozessen, Strukturen, Führungsansätzen, die eben unter dem Schlagwort agil zusammengefasst werden. Dazu gehört auch das Thema Intrapreneurship, also die Eigenverantwortung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu stärken. Zunehmend werden in Innovationsprozessen beispielsweise Design Thinking oder SCRUM eingesetzt. Ja, das KMU der Zukunft wird nicht nur agiler, sondern auch offener. 

WTSH Online Redaktion: Wie sollten KMU, aber auch Konzerne diese „Offenheit", von der Sie sprechen für ihre Innovationsprozesse nutzen?  

Prof. Dirk Müller: Der Innovationswettbewerb ist durch höhere Entwicklungsgeschwindigkeiten und die Notwendigkeit nicht nur wenige, sondern eine Vielzahl von (häufig digitalen) Technologien in die Produkte und Services zu integrieren, geprägt. Nur so kann man Kundinnen und Kunden passgenaue Angebote offerieren. Doch dazu sind Kompetenzen und Ressourcen notwendig. Selbst für sehr große und ausgesprochen ressourcenstarke Unternehmen ist es häufig nicht mehr möglich, alle notwendigen Kompetenzen im eigenen Unternehmen auf dem notwendigen hohen Niveau vorzuhalten. Bei den großen Konzernen drückt sich die Notwendigkeit zur Öffnung ihrer Innovationsprozesse beispielsweise in der zunehmenden Zusammenarbeit mit StartUps, im Aufbau von Open Innovation Centern und in der Erarbeitung von Strategien zur Führung offener Innovationsbeziehungen aus. KMU können beispielsweise dann profitieren, wenn sie ihre Innovationsprozesse ebenfalls öffnen und an den Schnittstellen der Großkonzerne andocken. Weiter haben KMU durch Digitalisierung, Globalisierung und Internet-Technologien einen bisher nicht gekannten Zugang zu Technologien und Technologiekompetenzen. In Verbindung mit der Öffnung von Innovationsschnittstellen anderer Unternehmen sind Partnerschaften und Netzwerke möglich, die vor kurzem kaum denkbar gewesen wären.

WTSH Online Redaktion: Welche Rolle spielt dabei - und generell im KMU der Zukunft- die Digitalisierung? 

Prof. Dirk Müller: Die Digitalisierung und die mit ihr verbundenen Technologien sind die Treiber für Innovationen und wirtschaftliche Veränderungen wenigstens der nächsten 20 bis 30 Jahre. Wer den Wettbewerb über digitale Technologien nicht aufnimmt, scheidet aus diesem aus oder muss sich in kleine Nischen verabschieden. Darum haben KMU keine andere Wahl als entsprechende Kompetenzen selbst aufzubauen oder sie einzukaufen. Gleichzeitig bedingt der Einkauf dieser Kompetenzen so etwas wie eine Basiskompetenz im eigenen Unternehmen, die sinnvoll beurteilt, welche zusätzlichen Kompetenzen notwendig sind. Dies betrifft sowohl die Betriebsführung, externe Beziehungen, Technologien sowie die Entwicklung von Produkten und Services.

WTSH Online Redaktion: Einer der wichtigsten Trends für die kommenden Jahrzehnte wird das Thema Nachhaltigkeit sein. Wird es für die KMU der Zukunft eine Mammutaufgabe? 

Prof. Dirk Müller: Wir sehen zunehmend den gesellschaftlichen und politischen Druck, die Lieferketten nachhaltig zu gestalten. Die europäische Union gibt mit ihrer Agenda 2030 entsprechende Impulse, um die 17 strategischen Nachhaltigkeitsziele der UN umzusetzen, und Europa idealerweise auch ökonomisch dabei weiter wettbewerbsfähig zu machen. Langfristig - bis 2050 - will die EU klimaneutral arbeiten. Dieser politische und gesellschaftliche Druck, und der Druck der großen Industrieunternehmen, wird sich letztendlich auch auf die Art und Weise, wie KMU ihre Geschäfte betreiben, auswirken. Das beginnt zum Beispiel bei nachhaltiger Sanierung von Firmengebäuden oder der Umstellung auf einen klimaneutralen Fuhrpark, Parkplatz-Sharing, bis hin zu neuen Konzepten in Sachen Flächenverbrauch und Büro-Sharing. Wichtig dabei ist auch die nachhaltige Betrachtung der Ressource Mensch. Stichwort Gesundes Arbeiten. Wichtig ist, dass sich die KMU auf den Weg machen, das Potential der Nachhaltigkeit zu verstehen und beginnen es für sich zu nutzen. Diejenigen, die sich als erste damit auseinandersetzen, werden Vorteile im Wettbewerb haben. Und: Nachhaltigkeit und Innovation passen bestens zusammen. Das Streben nach ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit provoziert Innovation geradezu.

Das Interview führte Ute Leinigen

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