Hybride Führung – Führung zwischen Home-Office und Office-Präsenz

„Sinnvoll(er) wäre es, noch einmal ganz offen über den jeweiligen Zweck von Office-Präsenz und Home-Office nachzudenken“

Die Arbeitswelt hat sich in den vergangenen Jahren rasant verändert. Infolge der Pandemie ist der flexible Wechsel zwischen Office-Präsenz und Home-Office zum festen Bestandteil des Arbeitsalltags vieler angestellt Beschäftigter geworden. In vielen Unternehmen ist sogar schon von ‚2plus3‘ als dem ‚New Normal‘ die Rede. Über die damit verbundenen Herausforderungen für Führung und Führungskräfte haben wir mir Prof. Dr. Rob Wiechern, Professor für Unternehmensführung an der FH Kiel,  gesprochen.

WTSH-Online Redaktion: Was versteht man unter ‚Hybrider‘ oder ‚Virtueller Führung? 

Prof. Dr. Rob Wiechern: Tatsächlich haben wir es zunächst mit einer Vielzahl von ungenau abgegrenzten Begriffen zu tun. Das Spektrum reicht von ‚Virtual Leadership“, über ‚Remote Leadership‘ und ‚Distant Leadership‘ bis hin zu ‘Hybrid‘ und ‘Digital Leadership’, bzw. den deutschen Äquivalenten ‚Virtuelle Führung‘, ‚Führung auf Distanz‘ oder auch ‘Hybride Führung‘. Eine angemessene Bezeichnung lässt sich dabei aus dem Anteil der über digitale Medien vermittelten Zusammenarbeit ableiten. ‚Hybride Führung‘ bezeichnet die aktuell überwiegend zu beobachtende Mischung aus direkter, persönlicher und indirekter virtueller Führung. Für sich genommen bezeichnet ‚Virtuelle Führung‘ eine nahezu ausschließlich virtuell vermittelte Führung.

Dabei sind hybride bzw. virtuelle Formen der Führung nicht so neu, wie vielfach dargestellt. Bereits in den 1970er Jahren hat man in Reaktion auf die Ölkrise erste Überlegungen zum ‚Telependeln‘ zwischen Büro und zu Hause angestellt. In multinationalen Großunternehmen gehören Raum- und Zeitgrenzen überschreitende virtuelle Projektteams schon lange zum Standard. Und spätestens seit den 2010er Jahren ermöglichen es mobile Endgeräte und virtuelle Konnektivität, ständig und von überall aus zusammenzuarbeiten.

WTSH-Online Redaktion: Und was ist eigentlich neu daran?

Prof. Dr. Rob Wiechern: Neu sind aus meiner Sicht zum einen die Verbreitung des mobilen, dezentralen Arbeitens, das sich mittlerweile auf nahezu alle kognitiven und wissensorientierten Tätigkeiten erstreckt, und zum anderen die Qualität der genutzten Technologien, etwa die Verfügbarkeit von cloudbasierten Systemen für Wissens- und Projektmanagement oder integrierte Videokonferenzen.

WTSH online Redaktion: Wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen in Bezug auf ‚virtuelle Führung‘ bzw. ‚Führung auf Distanz‘?

Prof. Dr. Rob Wiechern: Im Vergleich zu klassischer Führung in Präsenz fällt zunächst ins Auge, dass insbesondere die für den Aufbau einer gelingenden Führungsbeziehung essenziellen, im physischen Sinne persönlichen Interaktionen in der Virtualität entfallen. So überrascht es wenig, dass die virtuelle Kooperation im Vergleich zur Präsenz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Führungskräften als anspruchsvoller wahrgenommen wird. Hinzu kommt, dass viele, vor allem traditionell sozialisierte Führungskräfte, in der Virtualität das Gefühl mangelnder Kontrolle über das Kommunikationsgeschehen haben.

Zugleich wird von den Führungskräften weitegehend umstandslos erwartet, dass sie die Herausforderungen der virtuellen Führung einfach durch ein ‚Mehr‘ zu bewältigen hätten: Ein ‚Mehr‘ an Kommunikation, an Strukturierung, an Empathie, an Vertrauen usw. Daraus folgt eine erhebliche Mehrbelastung der Führungskräfte.

WTSH-Online Redaktion: Worauf kommt es bei ‚Hybrider‘ bzw. ‚Virtueller Führung‘ im Detail an, wie können Führungskräfte erfolgreich ‚auf Distanz‘ führen?

Prof. Dr. Rob Wiechern: Zu den wichtigsten Aufgaben in der virtuellen Zusammenarbeit gehört es, Kommunikation und Austausch im Rahmen von regelmäßigen und fallweisen Meetings sicherzustellen und zu fördern. Das bedeutet auch, eine gute Balance zwischen der Gefahr von Informationsüberflutung auf der einen Seite, und der Gefahr mangelnder Information oder gar sozialer Isolation auf der anderen Seite zu gewährleisten. Schließlich gilt es, die eigene Kompetenz wie auch jene der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Bezug auf die zu nutzenden Kommunikationsmedien zu fördern.

Darüber hinaus sollten Führungskräfte noch stärker als in Präsenz auf die Schaffung von klaren Strukturen achten. Gemeinsam definierte Ziele, Aufgaben, Rollen und Meilensteine dienen als ‚Leitplanken‘, innerhalb derer sich die Teams so weit wie möglich selbst organisieren können. Dazu gehören auch Regeln der Zusammenarbeit, des Austauschs untereinander und für den Umgang mit Konflikten.

Sehr wichtig sind schließlich Maßnahmen, die wechselseitiges Vertrauen und den Zusammenhalt im Team fördern. Dazu gehören die mit gemeinsamen Zielen, einer dezidierten Aufgabenverteilung und klaren Rollen einhergehende Transparenz, eine attraktive gemeinsame Vision, im Team geteilte Werte und nicht zuletzt die Möglichkeit, im Rahmen von regelmäßigen informellen Kommunikationsräumen in einen persönlichen Austausch miteinander zu kommen. Zuletzt sollten Führungskräfte erwünschtes Verhalten, etwa wertschätzende Kommunikation auf Augenhöhe, selbst vorleben.

In der Summe läuft alles auf ein befähigendes, heterarchisches Führungsverständnis hinaus, innerhalb dessen Führung auf strukturelle Aspekte, indirekte ‚weiche‘ Aspekte, auf eine kollektive Selbstführung des Teams und eine individuelle Selbstführung jedes einzelnen Mitarbeiters ‚verteilt‘ ist.

WTSH-Online Redaktion: Funktioniert nach Ihrer Wahrnehmung ‚Hybride Führung‘ in den Unternehmen nach so kurzer Zeit bereits?

Prof. Dr. Rob Wiechern: Viele empirische Untersuchungen während und nach der Pandemie kommen weit überwiegend zu positiven Ergebnissen, was die Zufriedenheit mit der als neu wahrgenommenen Arbeits- und Führungssituation, aber auch mit der Produktivität angeht. 

Unterschätzt wird dabei meines Erachtens jedoch, dass wir es mit einer Sonder- und Krisensituation zu tun hatten, die auch von einem ‚gemeinsam schaffen wir das‘ und von einer entsprechend großen Loyalität der Belegschaften zu ihren Unternehmen getragen war. Zudem hatten die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits viele Jahre erfolgreich in Präsenz zusammengearbeitet. Die dabei gebildeten Strukturen und persönlichen Beziehungen haben sich in den ersten Phasen der virtuellen Zusammenarbeit als ‚tragfähig‘ erwiesen. Außerdem haben die Mitarbeiternnen und Mitarbeiter auch erhebliche Freiräume gewonnen, die sie nicht mehr einfach aufgeben wollen.

Nachdem bezüglich der pandemischen Gesundheitsrisiken das Gröbste überstanden zu sein scheint, berichten Führungskräfte vermehrt, dass viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Office-Präsenz auch über etwaige ‚2plus3‘ Regeln hinaus hinterfragen, d.h. die Sinnhaftigkeit von Office-Präsenz ganz generell infrage steht. Wenn Personen im Büro dieselben Tätigkeiten ausführen, die sie ebenso gut - oder sogar besser - im Home-Office ausführen könnten, scheint dieser Zweifel durchaus berechtigt.

WTSH-Online Redaktion: Das bedeutet, mobiles Arbeiten ist zur konkreten Erwartung geworden und Führungskräfte müssen nahezu ‚beweisen‘, dass Präsenz tatsächlich notwendig ist. Wie bekommt man hier einen Spagat hin? 

Prof. Dr. Rob Wiechern: Arbeitgeber könnten jetzt natürlich Gebrauch von ihrer Weisungsbefugnis machen, und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewissermaßen ins Office ‚zwingen‘. Sinnvoller wäre es hingegen, noch einmal ganz offen über den jeweiligen Zweck von Office-Präsenz und Home-Office nachzudenken. So eignet sich die Arbeit im Home-Office bzw. die virtuelle Zusammenarbeit für alle gut strukturierten, operativen Arbeiten sowie Arbeiten, die eine hohe Sachorientierung beziehungsweise Konzentration erfordern. Die Präsenz im Office wäre hingegen primär für die gemeinsame Bearbeitung komplexer, schwach strukturierter Probleme, also für kreative Prozesse im Team geeignet, und damit auf die Sozial-Dimension gerichtet.

Abstrakter formuliert, böten Home-Office und virtuelle Zusammenarbeit den Raum für Sachorientierung und Effizienz, d.h. „Exploitation“ während die Office-Präsenz den Raum für Sozialorientierung und Auseinandersetzung mit Neuem, d.h. “Exploration“ darstellt. Nehmen die Teams diesen Unterschied idealerweise als eigene Erfahrung wahr, würde sich die Frage nach der geeigneteren Form der Zusammenarbeit weitgehend erübrigen.

Das Interview führte Ute Leinigen

Zur Person

Prof. Dr. Rob Wiechern ist Professor für Unternehmensführung am Fachbereich Wirtschaft der Fachhochschule Kiel. Nach Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Witten/Herdecke und Promotion am Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) folgten mehrjährige Tätigkeiten in der Zukunfts- und Umfeldforschung der Daimler AG, in der Projektentwicklung Erneuerbare Energien, in der Strategie- und Organisationsberatung sowie als Gründerinnen und Gründer-Coach im Rahmen des EXIST-Förderprogramms des BMWi.

Prof. Wiechern lehrt und forscht zu Fragen der Unternehmensführung, der Organisation sowie der Team- und Mitarbeiterführung, insbesondere in mittelständischen Familienunternehmen und technologieorientierten Gründerunternehmen.

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