Innovation made in Medelby
Nordgröön definiert „grünen“ Strom neu
Die Nordgröön Energie GmbH, ein Energiedienstleister und -logistiker mit dem Motto „Aus der Region, für die Region“ mit Firmensitz in Medelby, fünf Kilometer südlich der dänischen Grenze, stellt mit echtem Grünstrom aus der Nachbarschaft ein wichtiges Puzzlestück für das Gelingen der Energiewende im Norden bereit. Mit Torge Wendt, Geschäftsführer bei Nordgröön, hat die WTSH Online-Redaktion über die Problematik von Grünstromzertifikaten, ein genossenschaftlich organisiertes Energiesystem der Zukunft und das ökonomische Potenzial der Transformation in die Klimaneutralität gesprochen.
WTSH Online-Redaktion: Schleswig-Holstein will bis 2040 klimaneutral werden. Wo seht ihr eure Rolle in diesem ehrgeizigen Vorhaben?
Torge Wendt: Wer sich heute für den Bezug von Grünstrom entscheidet, bekommt zu einem sehr großen Teil Strom aus einem Kraftwerk, das mit fossilen Energien wie Kohle und Gas betrieben wird – streng genommen ist der Strom also nicht „grün“, der zuhause oder in der Firma ankommt. Die Stromversorger kaufen für die Kundinnen und Kunden mit Grünstromtarifen Zertifikate, die den grauen Strom grün anmalen. Nordgröön will genau das ändern: Wir erzeugen, sammeln und verteilen regional erzeugten Strom aus regenerativen Quellen – und dieser ist dann tatsächlich grün und nicht nur grün angemalt. Gerade sind wir mit dem VDE und Fraunhofer Institut dabei, ein eigenes Label für diesen echten Grünstrom zu erarbeiten, das wir auf der diesjährigen Industry meets Renewables vorstellen wollen.
WTSH Online-Redaktion: Die Idee scheint naheliegend, regional erzeugten Strom lokal zu verbrauchen. Gibt es ähnliche Modelle der Erneuerbaren-Logistik schon, an denen ihr euch orientiert habt?
Torge Wendt: In Deutschland sind wir meines Wissens die einzige Firma, die ein solches Produkt vertreibt. Mit dem Strom aus der Nachbarschaft sind wir Pioniere auf dem Energiemarkt. Innovation made in Medelby! Ab einer gewissen Größenordnung können lokale Erzeuger ihren Strom über uns auch direkt an den Letztverbraucher vermarkten. Zwingende Vorgabe ist hier die Beteiligung an einer Plattform, die nach einem genossenschaftlichen Prinzip funktioniert. Gerade haben wir auch eine App in der Entwicklung, die zeigt, welche Anlagen den benötigten Strom bereitstellen, die Infos über aktuelle Preise gibt und dazu über einen Wetter-Forecast verfügt. Der Kunde oder die Kundin kann so aktiv zum Mitgestalter der Energiewende werden: Die App meldet zum Beispiel, dass morgen eine Windfront durchgeht. Da lade ich mein Auto besser morgen, denn da sind Strompreise günstig und zugleich entlaste ich durch den Verbrauch das Stromnetz.
WTSH Online-Redaktion: Du hast davon gesprochen, dass ihr an einem eigenen Nachweis für euren Strom arbeitet. Wie muss man sich das vorstellen?
Torge Wendt: Bei der Umsetzung des eigenen Labels geht es uns in erster Linie darum, die hohe Qualität, die Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit unseres Energiesystems prüfen und zertifizieren zu lassen. Seit ungefähr eineinhalb Jahren entwickeln wir dazu zusammen mit dem VDE und dem Fraunhofer Institut ein System, das die Gesamtmenge des erzeugten Stroms und den Verbrauch im Viertelstundentakt exakt monitort. Die beiden Parameter werden dann übereinandergelegt und geschaut, wie die Daten zusammenpassen. Bei diesem System geht es anders als bei heutigen Zertifikate-Systemen um die echte Zeitgleichheit von Erzeugung und Verbrauch in viertelstündlicher Auflösung.
WTSH Online-Redaktion: Wenn Industrieunternehmen auf erneuerbare Energien umsteigen wollen, stehen sie vor besonderen Herausforderungen. Welche Optionen gibt es?
Torge Wendt: Alle Unternehmen stehen heute unter einem enormen Druck. Von Kundenseite ist der Wunsch nach CO2-Neutralität so groß, dass viele Unternehmen das Gefühl haben: Ich muss jetzt was ändern, sonst bin ich raus. Große Unternehmen wollen so nachhaltig sein wie möglich und geben dieses Ziel über die Lieferkette an die kleinen und mittleren Unternehmen weiter. Das große Vorurteil, das gegenüber den erneuerbaren Energien besteht, ist, dass sie schlichtweg einfach zu teuer sind. Dieses Vorurteil wollen wir auf der Fachkonferenz Industry meets Renewables entkräften! Ob es Onsite-PPAs sind oder die eigene Windkraftanlage – es gibt viele Möglichkeiten, nachhaltig zu produzieren und günstige, grüne Energie zu nutzen. Wer sich als Unternehmen jetzt mit grüner Energie neu aufstellt, wird signifikante Wettbewerbsvorteile gegenüber denen haben, die das ökonomische Potenzial der Transformation verkennen.
WTSH Online-Redaktion: Ein Thema, über das gerade alle reden, sind Batteriespeicher. Für wen ist das interessant und warum?
Torge Wendt: Vor fünf Jahren hätte ich noch gesagt, das wird für uns aufgrund der Preise eine untergeordnete Rolle spielen. Jetzt sind die Speicher so viel günstiger, dass sie auch ökonomisch Sinn machen. Spannend an der Entwicklung ist, dass sie privatwirtschaftlich, also ohne staatliche Subventionen daherkommt. Die Wirtschaftlichkeit wird frei über den Markt abgebildet, vor allem über den Kurzfristmarkt. Vereinfacht formuliert: Strom wird billig eingekauft, zum Beispiel wenn Erneuerbare am Markt verfügbar sind, und teurer wieder verkauft. Die Batteriespeicher fördern massiv die Flexibilität des Energiesystems, die wir dringend brauchen, und könnten so zu einem echten Gamechanger der Energiewende werden. Wenn Industrieunternehmen sich für ihre Produktionsprozesse einen wie auch immer gearteten Speicher anschaffen (Stand-alone mit eigenem Netzanschluss oder Onsite auf ihrem Firmengelände), werden sie sozusagen auch selbst zum Energiespeicher. Ihre höhere Prozessflexibilität im Verbrauch stellen sie dem Markt zur Verfügung und stabilisieren so das ganze System – zusammengenommen könnte dies alles einen wahnsinnigen Effekt haben.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die bundesweite Konferenz Industry meets Renewables findet am Mittwoch, 4. Juni 2025 von 9:30 bis 18:30 Uhr im Holstenhallen Congress Center Neumünster, Justus-Liebig-Straße 2-4, unter der Schirmherrschaft von Tobias Goldschmidt, Minister für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur des Landes Schleswig-Holstein statt.