Megatrend und Tabu: Mentale Gesundheit in der Arbeitswelt

Hey Unternehmen, wir müssen reden!

Für Unfälle gibt es erste Hilfe, für Arbeitssicherheit die Betriebsärztin oder den Betriebsarzt und für den Ausgleich zum Bürojob den Zuschuss zum Sportverein. Wer als Führungskraft glaubt damit gut aufgestellt zu sein, hat zwar recht, ignoriert jedoch einen blinden Fleck, um den sich nach wie vor viele Mythen ranken. Gleichzeitig ist es ein Zukunftsthema, an dem künftig kein Unternehmen vorbeikommt: die mentale Gesundheit. 

Dabei sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: Laut aktuellem Psychreport der DAK-Gesundheit sind die Krankheitsausfälle wegen psychischer Erkrankungen im Vergleich zu vor zehn Jahren um 48 Prozent angestiegen. Besonders betroffen sind junge Menschen zwischen 25 und 29 Jahren. In Schleswig-Holstein gingen laut Barmer-Gesundheitsreport 18 Prozent der Fehlzeiten auf psychische Erkrankungen zurück. Psychische Erkrankungen rangieren mit 15,1 Prozent auf Platz drei der häufigsten Gründe für Fehlzeiten (DAK/Statista 2023), Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Unternehmen können es sich aufgrund des Fachkräftemangels schlicht nicht leisten, untätig zu bleiben. Denn wer Fachkräfte gewinnen und langfristig binden will, muss auch die mentale Gesundheit am Arbeitsplatz unterstützen. 

Pflanzen in Reih und Glied in einem Gewächshaus

Führungskräfte sind schlicht überfordert

Das Themenfeld hat mir Berührungsängsten, Unwissenheit, Stigmatisierung zu kämpfen. Und: viele Führungskräfte sind damit schlicht überfordert. Es fehlt an Strategien und Kompetenzen in diesem sensiblen Bereich. In Prävention wird wenig investiert. Sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits konkret gefährdet, stellt sich zudem die Frage: Wie mit der Situation umgehen? Die gute Nachricht: Unternehmen sind nicht allein. Für die Krankenkassen besteht die gesetzliche Verpflichtung, präventiv tätig zu werden. Zudem existiert sowohl überregional als auch lokal ein breites Netzwerk an Partnerinnen und Partnern, die Unternehmen und Organisationen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Ein wegweisender Schritt zu mehr Bewußtsein um das Thema der mentalen Gesundheit und Prävention sind zu nächst Aufklärung und Awareness - denn ein Problem kann erst bearbeitet werden, wenn es erkannt wird. 

Aber wie, wenn das Thema psychische Gesundheit bei vielen ein mulmiges Gefühl auslöst? 

Mentale Gesundheit geht alle etwas an

Im Koalitionsvertrag des Landes Schleswig-Holstein von 2022 wurde verankert, das Themenfeld mentale Gesundheit zu enttabuisieren sowie Hilfsangebote bekannter und zugänglicher zu machen.  Im Rahmen vieler Initiativen, Projekte und Unternehmen wird daran gearbeitet, das Tabu aufzubrechen. Wie beispielsweise durch die Landesvereinigung für Gesundheitsförderung Schleswig-Holstein (LVGFSH). Ziel ist es, Führungskräfte, Betroffene sowie die gesamte Belegschaft für die Thematik zu sensibilisieren, aufzuklären, niedrigschwellige Hilfe bereitzustellen. Ein Baustein ist der Erste-Hilfe-Koffer zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz. Dieser bietet einen Einstieg in das Themenfeld mit Informationen, konkreten Tipps und Handlungsansätzen und Anlaufstellen. Adressiert werden Führungskräfte, Teammitglieder, betroffene Kolleginnen und Kollegen. Fachtagungen und Fortbildungen runden das Angebot ab. 

Erste Hilfe bei mentalen Notfällen

Ersthelferinnen und Ersthelfer gibt es wohl in jedem Betrieb. Aber was ist mit der mentalen Unterstützung in Notfällen? In Schleswig-Holstein bietet die Landesvereinigung für Gesundheitsförderung Schleswig-Holstein (LVGFSH) MHFA Ersthelfer-Kurse an. Mental Health First Aid (MHFA) wurde 2000 in Australien entwickelt, orientiert sich am globalen Konzept der körperlichen Ersten Hilfe und basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Inzwischen kommt MHFA in 26 Ländern zum Einsatz und befähigt dazu, Anzeichen und Symptome psychischer Belastungen zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Wie wichtig frühzeitige Unterstützung im Betrieb sein kann, zeigt ein beunruhigender Trend. Anders als noch in den 2000er Jahren, in denen Arbeitslose besonders häufig von psychischen Erkrankungen betroffen waren, sind es heute überwiegend Berufstätige. 

Soulbreak: Unternehmen von innen heraus stärken

Die Motivation, Soulbreak 2021 zu gründen, sei intrinsisch gewesen, erzählt Geschäftsführerin Britta Brechtel. Mitgründerin Katrin Knehans sei in ihrer früheren Position im Marketingbereich eines großen Unternehmens die "informelle Feelgood-Managerin" gewesen. Und auch Brechtel habe in ihrer vormaligen Position als Geschäftsführerin eines Softwareunternehmens den Handlungsbedarf erkannt. Mit einem interdisziplinären Expertenteam aus den Bereichen Psychologie, systemischer Expertise, Sportwissenschaft, Ernährung und einigen mehr bietet das Kieler StartUp heute Maßnahmen zur Stärkung der mentalen Gesundheit für den Privatmenschen, aber auch im Unternehmenskontext. Es geht um die Verankerung von mentaler Gesundheit in der Unternehmenskultur, in der Kommunikation und bei dem einzelnen Individuum. Entscheidend sei es, zunächst ein Bewußtsein für dieses wichtige Thema zu schaffen, Wissen zu vermitteln und dann bei der Verhaltensänderung zu begleiten. Zugeschnitten auf den Bedarf, aber auch das individuelle Tempo des einzelnen Unternehmens, online, hybrid oder in Präsenz. "Soulbreak sieht seinen Angebots-Schwerpunkt in der Begleitung von definierten Gruppen, um so einen wirksamen Hebel für echte Verhaltensänderungen und Netzwerk-Entwicklung im Unternehmen zu erreichen."

Und der Bedarf an Ansätzen zur Prävention und Stärkung der mentalen Gesundheit ist enorm, vor allem die Führungskräfte stehen im Fokus. "Wir dürfen hier aber nicht in Zuschreibungen kommen," betont Brechtel. Denn viele Führungskräfte würden den Handlungsbedarf durchaus sehen und wollen ihrer Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nachkommen - seien jedoch wegen der Sensibilität des Themas immer noch verunsichert, was in ihrer Verantwortung liegt und was nicht. Zudem seien tradierte Denkmuster noch sehr verbreitet: Man geht zur Arbeit, bringt Leistung, der Rest ist Neben- bzw. Privatsache. Das führe dazu, dass Menschen die eigene Überforderung häufig nicht erkennen, bis diese zum handfesten Problem wird. Durch eine sensible und strategische Heransgehensweise an das Themenfeld mentale Gesundheit soll genau das verhindert werden. Das wiederum stärkt das gesamte Unternehmen langfristig: "Wenn ein Unternehmen die Mitarbeiterinteressen und die Unternehmensinteressen ausbalanciert, kann es langfristig erfolgreich sein. Das ist nicht leicht und ein fortwährender Prozess, aber es lohnt sich, den Weg zu verfolgen."

Der Mehrwert für einen Betrieb, der die Mental Health strategisch angeht, ist für Brechtel ganz klar: "Die Arbeitgeberattraktivität steigt, die Zufriedenheit und damit die Leistungsfähigkeit steigen. Wenn die Teammitgleider erkennen, dass das Unternehmen der mentalen Gesundheit der Belegschaft eine hohe Bedeutung beimisst, fördert das deutlich die Fokussierung auf Unternehmensziele und Aufgaben."

Die konkrete Intervention ist nur der letzte von vielen Schritten. Ähnlich wie bei der körperlichen Gesundheit sollten Unternehmen die Prävention mentaler Belastungen in den Vordergrund stellen. Aber auch die Stärkung psychischer Resilienz als Chance und Zukunftsthema begreifen. Damit investieren sie in langfristig gesunde, motiverte und loyale Fachkräfte. In Vertrauen und Verbundenheit innerhalb des Teams. Und somit in die Resilienz des gesamten Unternehmens. In unserer sich rasant verändernden Welt, die gleich mit mehren Disruptionen konfrontiert ist - von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz bis politischen Verschiebungen - ist Resilienz das wohl wichtigste Rüstzeug. 

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