New Work bei TIMM

Wir kommen aus der archaischen Zeit mit Kohlepapier und doppeltem Durchschlag

Überall dort, wo über Arbeit gesprochen wird, fällt der Begriff New Work. Dahinter verbergen sich unterschiedliche Arbeitsmodelle und alternative Arbeitsformen. Doch New Work ist weitaus mehr als Homeoffice, Co working, Job Sharing und einer Chill Area im ehemaligen Pausenraum. Wie ist Schleswig-Holsteins Mittelstand diesbezüglich aufgestellt? Wir haben mit Dr. Thomas Overbeck, Geschäftsführer der H. Timm Elektronik GmbH in Reinbek darüber gesprochen, ob New Work im traditionsgeführten Familienunternehmen Relevanz hat und ob es funktioniert. Für ihn ist ganz klar: das, was man New Work nennt, braucht eine Kultur, die die neuen Arbeitsformen trägt. 

WTSH-Online-Redaktion: Herr Overbeck, Sie haben das Traditionsunternehmen TIMM vor mehr als 10 Jahren übernommen. Seitdem haben Sie viele Veränderungsprozesse durchgeführt, neue Sparten eingeführt, sich am Markt positioniert. Und nun kommt New Work. Ein Buzz-Word?

Dr. Thomas Overbeck: Viele Veränderungen brauchen ein Buzz-Word, um thematisiert zu werden. Für das, was sich hinter New Work verbirgt, gibt es viele Ansätze. Doch der eigentliche Gedanke dahinter – nämlich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeiten zu geben, eigenverantwortlich, flexibel und selbständig das Richtige für das Unternehmen zu tun und sich dabei mit den Aufgaben wohlzufühlen, haben wir in den vergangenen Jahren kontinuierlich umgesetzt. Alles, was unter New Work verstanden wird, ist allerdings keine einmalige Sache, sondern ein kontinuierlicher Prozess. 

WTSH-Online-Redaktion: Also eher eine permanente Aufgabe und Auseinandersetzung damit, ob geschaffene Strukturen noch Bestand haben?

Dr. Thomas Overbeck: Genau. „Wir machen jetzt mal New Work“ wird nicht funktionieren. Veränderungsprozesse brauchen Zeit und müssen strategisch verankert werden, so dass sich daraus eine Unternehmensphilosophie entwickelt, die dann von allen getragen wird. Das wichtigste dabei ist, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das auch fühlen. Wir zum Beispiel kommen, historisch gesehen, aus der archaischen Zeit mit Kohlepapier und doppeltem Durchschlag. Und vor nicht allzu langer Zeit hat man uns nun attestiert, dass wir eher die Anmutung eines fünfjährigen StartUps haben. Für mich ist das ein Kompliment, weil ich weiß, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dieser Entwicklung ebenso zufrieden sind. Veränderungsprozesse können nicht einfach angeordnet werden, die Kernstruktur eines Unternehmens muss sich ändern, aber der Weg dahin braucht Zeit.

WTSH-Online-Redaktion: Welche Maßnahmen haben Sie konkret ergriffen, die man unter New Work einordnen könnte?

Dr. Thomas Overbeck: Wir haben zum Beispiel eine mittlere Management-Ebene eingezogen, die wichtige und auch mittelfristig wirkende Entscheidungen eigenverantwortlich trifft. Egal, ob es sich um die Einführung neuer Geschäftsprozesse oder z.B. die Weiterentwicklung des Marketings handelt. Das Ziel dabei ist, mich selbst überflüssig zu machen. Als Geschäftsführer nehme ich dann in dieser Funktion nur noch die Rolle des Moderators ein. 

WTSH-Online-Redaktion: Was hat sich durch diesen Prozess und die Implementierung der mittleren Management-Ebene verändert und entwickelt?

Dr. Thomas Overbeck: Das Selbstverständnis der Vorgesetzten in unserem Unternehmen hat sich verändert. Vorgesetzte – und damit meine ich auch mich als Geschäftsführer – sind Dienstleister für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir sind dazu da, Werkezuge an die Hand zu geben, zu befähigen, zu motivieren und zu begleiten, so dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eigenverantwortlich und selbständig im Sinne der Unternehmensziele handeln können und auch eigene Ideen entwickeln und einbringen. Auch das ist ein Wandel, der sich nicht von heute auf morgen vollzieht. 

WTSH-Online-Redaktion: Das bedeutet, Sie als Geschäftsführer nehmen die Rolle eines Übersetzers ein, der Führungskräften wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hilft, in ihre (neuen) Rollen zu finden und die Erwartungen zu erfüllen, die an sie gestellt werden?

Dr. Thomas Overbeck: Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind unser höchstes Gut. Das war auch schon vor New Work unsere Devise. Es ist unumgänglich, Personal permanent weiterzuentwickeln und es sich weiterentwickeln zu lassen, damit das Unternehmen innovationsfähig bleibt. Die Würdigung der Arbeit und die Entfaltung der Potenziale steht dabei an oberster Stelle. Dazu gehört aber auch, dass wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu mehr Verantwortung herausfordern als sie manchmal tragen wollen. Und damit geht gleichzeitig auch eine größere Fehlertoleranz einher. Denn wenn ich Verantwortung und Kontrolle abgebe, muss ich damit rechnen, dass Dinge anders laufen oder auch Fehler passieren. Wichtig ist es, eine konstruktive Fehlerkultur zu etablieren, nach dem Motto: Fehler sind nicht vermeidbar und eine willkommene Chance zu lernen. Ein offener Umgang mit Fehlern, egal auf welcher Ebene führt dazu, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Angst davor verlieren, frühzeitig auf Fehler hinzuweisen. Außerdem steigert eine konstruktive Fehlerkultur die Motivation und Kreativität.

WTSH-Online-Redaktion: Eine konstruktive Fehlerkultur zu etablieren, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Eigenverantwortung zu befähigen ist das eine. Eine andere Facette von New Work ist es, sich mit den wandelnden Wünschen und Bedürfnissen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auseinanderzusetzen. Welches Entgegenkommen gibt es bei TIMM gegenüber dem Personal auch im Rahmen der so häufig genannten work life balance?

Dr. Thomas Overbeck: Wir haben feste Arbeitszeiten eingeführt, es gibt feste Start – und Endzeiten. Ziel ist es, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter pünktlich Feierabend machen. Mit diesen festen Zeiten gewährleisten wir auch, dass wir im selben Zeitraum füreinander da sind, egal ob im Home Office oder vor Ort. Wir haben nicht das Problem, dass Arbeitszeit mit Feierabend verschwimmt. Wir arbeiten für uns selbst, aber auch im Verbund. Das ist Teil unserer Unternehmenskultur. Gerade zu Corona Zeiten, wo wir größtenteils im Home Office arbeiten, ist es besonders wichtig, strukturiert in den Feierabend zu gehen - nach getaner Arbeit.

WTSH-Online-Redaktion: Auch Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten in den vergangenen Monaten ihr Arbeitsleben stark an die Pandemie anpassen und nach Hause verlegen. War dies eine große Herausforderung?

Dr. Thomas Overbeck: Natürlich kam auch für uns das Arbeiten im Home Office ad hoc. Aber wir hatten die Voraussetzungen bereits vor einigen Jahren geschaffen. Durch einen neuen Server und eine neue Firewall für einen dezentralen Zugriff. Die digitale Infrastruktur war geschaffen, so dass wir rein technisch schnell auf Arbeiten im Home Office umswitchen konnten. 

WTSH-Online-Redaktion: Zum digitalen Arbeiten gehört nicht nur die Nutzung von Technik und entsprechender Software. Dazu kommt eine neue Form der Arbeit, Zusammenarbeit und Führung. Wie funktioniert dieses Zusammenspiel?

Dr. Thomas Overbeck: Ich nutze hier nochmal mein Bild von vorhin. Führung bedeutet, die Rolle des Moderators zu übernehmen, den Überblick zu behalten und es dem Team zu ermöglichen, die eigenen Fähigkeiten im Sinne des Unternehmensziels zusammenzufügen. Das funktioniert auch im Home Office oder im Hybridmodus. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennen ihre Aufgaben und ihre Arbeit selbst und wissen, wie sie diese zusammenzuführen haben. Wichtig dabei ist, dass man Möglichkeiten der Kommunikation schafft und auch gemeinsame Zeiten, in denen man gemeinsam verfügbar ist. Vielleicht hat Corona und das Arbeiten im Home Office dazu beigetragen, dass sich diese Arbeitskultur bei uns noch weiter verfestigt hat. Was ich auf jeden Fall sagen kann, ist, dass unsere Online Meetings schneller und effizienter durchgeführt werden. Ich denke, dass wir bei TIMM durch unsere festgelegte Zeit des Feierabends auf jeden Fall dazu beitragen, dass Home Office als nicht so anstrengend wahrgenommen wird.

WTSH-Online-Redaktion: Um mit dem Begriff New Work zu schließen. Was bleibt für Sie das Wesentliche daran?

Dr. Thomas Overbeck: Agil zu bleiben. Die Begegnung mit einem permanenten Wandel. Denn Unternehmen sind einem ständigen Wandel unterworfen, von außen durch Kundenanforderungen, wirtschaftliche Einflüsse, aber eben auch durch innere Einflüsse. Dazu gehört auch das Einbringen neuer Ideen durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Jeder sollte sich einem ständigen Veränderungsprozess unterziehen, Veränderung ist Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und die Vorgesetzten sollten dabei unterstützen. Das alles funktioniert nur, wenn die menschliche Komponente im Vordergrund steht und alle zusammenpassen, die Chemie stimmt. Dann kann man Veränderungen und auch New Work stabil begegnen. Ich glaube, dass insbesondere auch diese Eigenschaft in der DNA vieler Unternehmen des schleswig-holsteinischen Mittelstandes fest verankert ist. 

 

Das Interview führte Ute Leinigen

Steckbrief: H. Timm Elektronik GmbH

  • Standort:                      Reinbek
  • Beschäftigte:               25
  • Gründung:                   1963
  • Branche:                       Elektrotechnik
  • Services:                       Mess-, Steuerungs- und Regeltechnik
  • Mehr Informationen:  www.timm-technology.de

Übrigens: Timm Elektronik ist Mitglied im "Partnerprogramm. Schleswig-Holstein, der echte Norden."

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Farina Krancher
Farina Krancher
Marketingleitung, TIMM
„New Work heißt für mich, dass man sich auf veränderte Rahmenbedingungen schnell und flexibel im Sinne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen kann. Der Wandel in unserem Unternehmen ist für mich besonders in den letzten 1,5 Jahren spürbar gewesen. Trotz Corona ist das Wir-Gefühl gestiegen und mithilfe digitaler Tools und flexibler Homeoffice-Regelungen konnte ich meine Effizienz steigern. Mir hat mein Job noch nie so viel Spaß gebracht!“

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