New Work – Chance für den Mittelstand?

Die Lösung sollte zum Unternehmen passen, nicht umgekehrt

Das Konzept von New Work wirbt dafür, hierarchische, formale und kontrollorientierte Unternehmensstrukturen durch flexiblere, dezentralere zu ersetzen und Strukturen und Prozesse zu schaffen, die den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine größere Teilhabe ermöglichen sollen. Dabei reichen die Überlegungen bis hin zur Gestaltung von kommunikations- und kreativitätsförderlichen Arbeitsräumen und flexiblen Arbeitszeiten unter dem Stichwort ‚Work-Life-Balance‘. Ziel ist es, die Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fördern, die Innovationsfähigkeit des Unternehmens zu steigern, die Kundenorientierung zu erhöhen, oder auch Effizienzgewinne zu realisieren. Ob all diese Erwartungshaltungen erfüllt werden? Und welche Chancen bietet New Work dem schleswig-holsteinischen Mittelstand? Darüber haben wir mit Prof. Dr. Rob Wiechern gesprochen.

WTSH-Online-Redaktion: Was ist aus ihrer Sicht das Wesentliche an New Work und auf welche Fragen bietet New Work Antworten?

Prof. Wiechern: Gemein ist allen ‚New Work‘ Aspekten und Ideen – von einer flexibleren Organisation, einer ressourcenorientierteren Menschenführung, über hervorragend ausgebildete und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis hin zu einer offeneren Kommunikations- und Unternehmenskultur – dass sie als quasi alternativlose ‚Imperative‘ formuliert werden, die sich zwangsläufig aus den Bedingungen von Digitalisierung und Globalisierung ergeben würden. Tatsächlich können wir beobachten, dass kleine und mittelständische Unternehmen wie auch größere, börsennotierte Unternehmen in den letzten Jahren gleichermaßen mit einer ganz erheblichen Zunahme der Komplexität und Veränderungsdynamik ihrer relevanten Umwelten konfrontiert sind. Infolge von Globalisierung, Digitaler Transformation, dem Umbruch von der Industrie- zur Wissensgesellschaft, der generellen Intensivierung des Wettbewerbs und dem Aufkommen von neuen, ‚disruptiv‘ agierenden Wettbewerbern, wird es für Entscheiderinnen und Entscheider immer schwieriger, belastbare Anhaltspunkte dafür zu finden, welche Entscheidungen morgen ‚unternehmerisch‘ richtig gewesen sein werden. Aus meiner Sicht sind diese Ansätze allerdings weniger ‚zwingend‘, als sie sich darstellen. Die ‚neuen Arbeitsformen‘ stellen vielmehr den Versuch einer Antwort auf die Frage dar, wie unter den Bedingungen von Komplexität, Dynamik und Unsicherheit, unternehmerisches Handeln künftig weiterhin erfolgreich sein kann. Dabei wird häufig übersehen, dass Hierarchie, feste Strukturen, vorgegebene Prozessfolgen etc. zunächst schlicht Verfahren sind, die die erheblichen Effizienzgewinne der Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten überhaupt erst ermöglicht haben. Zudem liegen bislang nur wenige praktische Erfahrungen und wissenschaftlich begleitete empirische Erkenntnisse vor, wie sich die neuen Führungs- und Organisationskonzepte in der Praxis tatsächlich bewähren.

WTSH-Online-Redaktion: Wie ist der Mittelstand aus Ihrer Sicht in Bezug auf ‚New Work‘ und die damit verbundenen Themen aufgestellt?

Prof. Wiechern: Kleine und mittlere Unternehmen bringen aus meiner Sicht bereits qua ihrer ‚DNA‘ hervorragende Voraussetzungen mit, um Prinzipien des ‚New Work‘ in ihren betrieblichen Alltag zu integrieren. Betrachtet man die wesentlichen Merkmale von ‚New Work‘, so sind viele kleine und mittlere Unternehmen bereits heute durch flache Hierarchien, ein ausgeprägtes Vertrauen zwischen Inhaberin oder Inhaber und den engsten, oft altgedienten und im Unternehmen gewachsenen Führungskräften sowie einer hohen Identifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Unternehmen gekennzeichnet. Zudem ist es schon heute typisch für mittelständische Unternehmen, enge, vertrauensvolle Beziehungen zu ihren Lieferanten und Kunden zu pflegen, die zugleich eine wichtige Quelle für die Innovationsstärke des Mittelstands bilden. Hinzu kommt, dass es in vielen mittelständischen Unternehmen gerade nicht allein um das Erwirtschaften von kurzfristigen Gewinnen geht, sondern alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Verständnis teilen, den langfristigen Fortbestand des Unternehmens mitunter über Generationen hinweg zu sichern. Unternehmerinnen und Unternehmern bilden hier mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im besten Sinne eine gewachsene, langfristige, ‚familiäre‘ Überlebensgemeinschaft, in der man sich umeinander kümmert und sich wechselseitig unterstützt.

WTSH-Online-Redaktion: Welche darüber hinaus gehenden Chancen bietet denn New Work den eher traditionellen, familiengeführten, mittelständischen Unternehmen im Land?

Prof. Wiechern: Chancen sehe ich zunächst darin, die Dinge, die man unbewusst und implizit bereits gut macht, offen zu zeigen und direkt zum Gegenstand des Austauschs mit Führungskräften und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu machen. Leitfragen dabei könnten beispielsweise sein: Was hat uns bislang erfolgreich gemacht? Wo stehen wir aktuell und wie wollen wir künftig zusammenarbeiten? Welche Erwartungen haben unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Führung? Wie wollen wir Entscheidungen treffen, und welche Rolle sollen - und wollen - die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei spielen? Wie versetzen wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, z B. im Rahmen von Personalentwicklungsmaßnahmen, gezielt in die Lage, eine mitunter größere Entscheidungsverantwortung zu übernehmen? Wie gewinnen wir, trotz im Vergleich zu großen Unternehmen begrenzter finanzieller Mittel und Standorten außerhalb der großen Metropolen, eigenständige, hochqualifizierte und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Große Chancen bestehen auch in Bezug auf die Innovationsfähigkeit des Mittelstandes. So regen die genannten Modelle dazu an, das eigene Unternehmen im Hinblick auf seine Kundenorientierung und die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen auf den Prüfstand zu stellen, oder nach weiteren Digitalisierungspotenzialen, etwa im Hinblick auf das eigene Geschäftsmodell zu suchen. Im Sinne einer stärkeren Öffnung nach außen denken viele mittelständische Unternehmen auch zunehmend über Formen der Kooperation mit jungen, häufig ‚digitaler‘ aufgestellten Gründerunternehmen nach. Das Spektrum reicht hier von einem lockeren Kennenlernen, über Ko-Entwicklungsprozesse bis hin zu finanziellen Beteiligungen.

WTSH-Online-Redaktion: Wo können mittelständische Unternehmen konkret ansetzen, New Work oder Elemente davon umzusetzen? Wie können im Mittelstand neue Arbeitsweisen entstehen?

Prof. Wiechern: Wenn ein mittelständisches Unternehmen mit der Idee zu mir käme, sich nach ‚New Work‘-Prinzipien zu transformieren, würde ich zunächst fragen: Welche Frage oder welches Problem treibt Sie um, von dem Sie glauben, dass ‚New Work‘ eine Lösung dafür sein könnte? Vielleicht stellt man verwundert fest, dass auch ganz andere Lösungen, die nicht in den Bereich des ‚New Work‘ fallen, ebenso gut oder sogar besser funktionieren könnten.“ Dann wäre zu fragen, ob Teile oder wirklich gleich das ganze Unternehmen ‚umgebaut‘ werden sollen. Es bedarf meines Erachtens nach einer differenzierten Sicht darauf, in welchen Unternehmensbereichen es Sinn macht, sich dezentraler, agiler etc. aufzustellen, und in welchen Bereichen bislang bewährte – oder eben ganz andere – Verfahren im Vordergrund stehen (sollten). In jedem Fall sollte die Lösung zum Unternehmen passen, und nicht umgekehrt. Im Kern wäre es also das Ziel, eine gute Balance zu gewinnen zwischen dem, was der US-amerikanische Managementforscher James G. March als ‚Exploration‘ auf der einen Seite, und als ‚Exploitation‘ auf der anderen Seite (bzw. zusammen als ‚Ambidextrie‘) unterschieden hat: Das heißt, einerseits das Angestammte, Erfolgreiche fortzusetzen, und gleichzeitig das Neue, Entdeckende zu fördern, nur eben in unterschiedlichen Unternehmensbereichen. Das Faszinierende an Organisationen ist gerade, dass sie – anders als die meisten Menschen – zwei unterschiedliche Dinge gleichzeitig tun können. Ist der Anfang in einem Bereich des Unternehmens erfolgreich gemacht, etwa im Vertrieb, oder in der Produktentwicklung, gilt es, die positiven Veränderungen für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als ‚Best Practices‘ sichtbar zu machen, im Sinne eines ‚tue Gutes, und sprich darüber‘. Idealerweise siegt dann die Neugier, und neue Formen der Führung, der Organisation und der Zusammenarbeit verbreiten sich wie von selbst im Unternehmen.

Konkret ansetzen können Unternehmerinnen und Unternehmer schließlich bei sich selbst, d.h. im Hinterfragen und Reflektieren der eigenen, über viele Jahre und mitunter sogar Generationen gewachsenen Annahmen. Konkret und durchaus anspruchsvoll kann dies bedeuten, das eigene, oft über Jahrzehnte gewachsene Führungsverständnis zu überprüfen und den Mitarbeitenden stärker Entscheidungskompetenzen und Bereichsverantwortlichkeiten zu übertragen. Wo das angezeigt ist und wie das gelingen kann, muss für jedes Unternehmen individuell erarbeitet werden.

Zuletzt kann man sich im eigenen Umfeld umschauen, welches mittelständische Unternehmen vielleicht schon erste Erfahrungen mit ‚New Work‘ gesammelt hat, und bereit ist, sich offen darüber auszutauschen.

WTSH-Online-Redaktion: Prof. Wiechern, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. 

Das Interview führte Ute Leinigen

Zur Person

Prof. Dr. Rob Wiechern ist Professor für Unternehmensführung am Fachbereich Wirtschaft der Fachhochschule Kiel. Nach Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Witten/Herdecke und Promotion am Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) folgten mehrjährige Tätigkeiten in der Zukunfts- und Umfeldforschung der Daimler AG, in der Projektentwicklung Erneuerbare Energien, in der Strategie- und Organisationsberatung sowie als Gründerinnen und Gründer-Coach im Rahmen des EXIST-Förderprogramms des BMWi.

Prof. Wiechern lehrt und forscht zu Fragen der Unternehmensführung, der Organisation sowie der Team- und Mitarbeiterführung, insbesondere in mittelständischen Familienunternehmen und technologieorientierten Gründerunternehmen.

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